Im Dezember 1917 entstand mit der Tscheka die erste sowjetische Geheimpolizei. Ihre Tradition wirkt über GPU, NKWD und KGB bis heute fort. Der Historiker Jan C. Behrends erklärt, wie es dazu kam.
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Niemand konnte behaupten, irregeführt worden zu sein. Am Abend des 20. Dezember 1917 hielt Feliks Edmundowitsch Dserschinski im Rat der Volkskommissare des bolschewistischen Russlands ein Referat, bevor diese faktische Revolutionsregierung auf Vorschlag des Vorsitzenden Wladimir Lenin die Gründung der Geheimpolizei Tscheka beschloss.
Der Bolschewik Dserschinskis, von der Herkunft her eigentlich ein polnischer Adliger, hatte die Ziele der von ihm konzipierten „Allrussischen Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution und Sabotage“ vor der Abstimmung klar dargelegt: „Wir befinden uns im Krieg, und zwar an der grausamsten aller Fronten, denn der Feind ist maskiert und auf dem Vormarsch, und es ist ein Kampf um Leben und Tod! Mein Vorschlag, meine Forderung zielt auf die Bildung eines Organs, das auf revolutionäre und unverkennbar bolschewistische Weise mit den Konterrevolutionären abrechnet.“
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Zu den besten Kennern der Tscheka und ihrer Nachfolger bis hinein in die Gegenwart gehört der Osteuropahistoriker Jan C. Behrends vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Er hat sich auf die Geschichte der Gewalt in verschiedenen Epochen kommunistischer Herrschaft spezialisiert.
DIE WELT: Begeht das offizielle Russland eigentlich den 100. Jahrestag der Tscheka-Gründung feierlich?
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Jan C. Behrends: Seit Beginn der Ära Putin hat es sich eingebürgert, den „Tag des Tschekisten“ wieder feierlich zu begehen. Zum 100. Jahrestag der Gründung wird es ein neues Ehrenschild geben, das man bereits im Internet bewundern kann. Ob Putin selbst das Wort ergreifen wird, ist noch unklar – in früheren Jahren hat er es getan.
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DIE WELT: Die Tscheka gilt als Sinnbild der Grausamkeit – zu Recht?
Behrends: Die Jahre des Russischen Bürgerkriegs 1918 bis 1921 waren generell von großer Grausamkeit geprägt. Alle Seiten kämpften erbarmungslos. Mit dem „Roten Terror“ vom Sommer 1918 erhob die Tscheka allerdings den Massenterror zur Staatsräson. Das war eine neue Qualität.
DIE WELT: Die Tscheka wurde Ende 1917 gegründet, als noch unbestritten Lenin die Zügel in der Hand hielt. Oft hört und liest man, erst Stalin habe die im Grunde „gute“ Revolution zur Tyrannei gemacht. Das scheint nicht zu stimmen, oder?
Behrends: Das ist ein Mythos. Tatsächlich gingen die Bolschewiki seit Beginn ihrer Herrschaft ohne Pardon gegen vermeintliche oder tatsächliche Gegner vor. Sie schufen einen Staat, der nicht seine Bürger beschützt, sondern seine Untertanen verfolgt. Die Phase des politischen Terrors dauerte – mit Abstufungen – von 1917 bis 1953.
DIE WELT: Wie erklären Sie sich diese Verharmlosung der Gewalt zu Lenins Zeiten?
Behrends: Die Bolschewiki haben stets hart an ihrem eigenen Mythos gearbeitet und ihre Sicht auf die Geschichte verbreitet. Dazu zählten ein romantisches Bild der Revolution, in dem ihre Opfer nicht vorkamen, und die Verklärung Lenins zum weisen Führer.
DIE WELT: 1922 wurde aus der Tscheka der Bürgerkriegszeit die GPU. Was veränderte sich außer dem Namen noch?
Behrends: Mit der Neuen Ökonomischen Politik und der Gründung der UdSSR begann eine neue Phase der sowjetischen Geschichte. An die Stelle der Tscheka, die häufig ad hoc gehandelt hatte, trat eine stärker regulierte, professionellere geheimpolizeiliche Arbeit. Doch im Verborgenen ging der Terror weiter: Bereits in den 20er-Jahren wurden die Arbeitslager ausgebaut.
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DIE WELT: Mit dem „Großen Terror“ des Jahres 1937, dem Hunderttausende Parteifunktionäre, Offiziere und auch ganz normale Menschen zum Opfer fielen, ist eine weitere berüchtigte Abkürzung verbunden: NKWD. War das substanziell etwas anderes als die GPU?
Behrends: Der NKWD war eine gut geölte Maschinerie, die nur von Stalin und seinen engsten Vertrauten dominiert wurde. Er kontrollierte jetzt den Gulag mit mehreren Millionen Gefangenen, ein geheimes Imperium eigenen Rechts. Zugleich war er in der Lage, Massenverhaftungen und Deportationen durchführen zu lassen.
DIE WELT: Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand aus dem NKWD schließlich der KGB. Haben sich dessen Angehörige eigentlich auch in der Tradition der Tscheka gesehen? Der Stasi in der DDR galt der Begriff „Tschekist“ als Auszeichnung …
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Behrends: … die eigentliche Zäsur waren der Tod Stalins und die Verhaftung seines Geheimdienstchefs Lawrenti Berija 1953. Damit endete der Terror. Aber das Selbstverständnis, das auf der Geschichte der sowjetischen Geheimpolizei seit 1917 gründete, das bestand fort und wurde sogar in die Staaten des Ostblocks exportiert. So auch in die DDR.
DIE WELT: Seit fast 18 Jahren regiert mit Wladimir Putin ein KGB-Mann Russland. Wie mächtig ist die Geheimpolizei heute noch?
Behrends: In der späten Sowjetunion wurde der KGB von der KPdSU ein Stück weit kontrolliert, seine Macht war eingehegt. Er war ein Instrument der Parteiherrschaft. Heute ist er nur dem Präsidenten verpflichtet, und das postsowjetische Russland bietet natürlich auch ganz andere Tätigkeitsfelder – etwa in der Ölförderung oder in der globalen Wirtschaft. Aus der russischen Soziologie wissen wir, dass heute Geheimdienstoffiziere auf hohen Staatsposten und in der Wirtschaft stark repräsentiert sind.
DIE WELT: Die Münchner Politologin und Russland-Kennerin Margareta Mommsen stellt in ihrem neuen Buch die These auf, weniger Putin beherrsche das Geheimdienstmilieu als vielmehr umgekehrt: Er sei ein Produkt dieses Milieus. Teilen Sie diesen Eindruck?
Behrends: Frau Prof. Mommsen hat Recht – Putin ist ein Produkt einer spezifischen Karriere im KGB und eines Milieus, das in der sowjetischen Zeit entstand, er steht für die letzte ganz und gar sowjetische Generation. Natürlich vertritt er auch die Interessen seiner Verbündeten aus den Apparaten. Mit der Zeit jedoch hat er auch ein großes Eigengewicht als autokratischer Herrscher, der in der Politik das letzte Wort hat.
Margareta Mommsen: „Das Putin-Syndikat. Russland im Griff der Geheimdienstler“. (Verlag C. H. Beck, München. 251 S., 14,95 Euro).
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